Nicht von dieser Welt

Eine Kurzgeschichte

Vier verschränkte Arme auf dem Brett vor dem geöffneten Fenster, zwei Augenpaare, die in die Dunkelheit starren.
"Rwuff... rrhhmm", ertönt es unter uns. Sofort quiekt es laut aus der gleichen Richtung.
"Klack.. klack..." Das war eine der großen Holzscheiben.
Schatten huschen über die trockene, helle Fläche neben den Baumstümpfen. Ein Schrei, der unter die Haut geht... lautes Schmatzen.... Stille.
"Uuaahooo..." der Ruf des Hirsches kommt von rechts. Es kribbelt in meinem Bauch.
Die Sterne am Himmel werden immer klarer. Wind kommt auf und bläst eine frische Brise ins Gesicht.
"Schmatz... klack...", die Laute wiederholen sich. Ein tiefes Grunzen hebt sich deutlich von den Tönen der anderen Sauen ab. Das ist die Alte, denke ich.
Fahrzeuggeräusche aus der Ferne, das Licht eines Scheinwerfers zwischen den dunklen Fichten. Sekunden - Minuten... Ich wage kaum zu atmen, so ruhig ist es mit einem Mal.
„Sind sie noch da?“, zische ich leise meinem Nachbarn zu. Der flüstert ein langgezogenes „Jaaa“ zurück.
Zwei Jäger auf Ansitz im September, ohne Schusswaffe, nur sie und die Welt da draußen und nichts soll sie stören. Zumindest nicht an diesem herrlichen Abend...




Wenige Meter vor uns steht eine Rotte Wildschweine, die sich genüsslich am Mais der Kirrung labt. Und irgendwo abseits im Wald übertönen die Rufe eines suchenden Hirsches das Rauschen des für kurze Momente aufkommenden Windes in den Zweigen der Bäume.
Töne, die ans Herz gehen. Wem? Dem aufgeschlossenen, modernen und dynamischen Menschen von heute? Ich beobachte den Himmel und erkenne drei blinkende Flugzeuglichter. Irgend einer der zahllosen Satelliten kreuzt rein optisch ihre Bahn. Und daneben leuchten zahllose funkelnde Sterne, von denen einige oder viele bereits für immer erloschen sind, dessen Licht uns aber erst jetzt erreicht.
Für lange Zeit spricht keiner von uns ein Wort. Zwei Menschen von heute genießen, was nur noch wenigen bekannt und wichtig ist: die Stimmen des nächtlichen Waldes. Ganz ruhig ist es auch so mittendrin in keinem Moment. Aber weit friedfertiger als "da draußen", und damit ist diesmal die andere Welt gemeint, jene, die wenigstens hier noch keinen Einzug gehalten hat.
Mir ist, als ob sie nicht existiert, keine Arbeit am nächsten Tag, kein hektisches Gebrumme auf den Straßen, keine hämmernden Bässe, kein lautes Rufen, kein Lärm.




Die Sauen streiten sich um die letzten Körner. In dieser Umgebung sind ihre Geräusche ebenfalls eine Art Lärm, aber einer, der passt.
Der nächste Ort liegt viele Kilometer von unserem Ansitzplatz entfernt. Nur die Straße stört hin und wieder die Abgeschiedenheit, denn selbst um diese Zeit herrscht am Berg noch Verkehr. Gut, wir haben sie ja ebenfalls benutzt. Wie wären wir sonst hierher gelangt? Zwei Stunden per Fuß? Mit dem Auto kamen wir also, wie sonst. Gemischte Gefühle bei diesem Gedanken. Und noch ein anderes mischt sich ein: ich bin daheim, endlich wieder daheim.
Plötzlich lautes Knacken und Trampeln... Die Rotte rauscht mit Getöse in die nahe Dickung. Wir nutzen es und baumen ab, wie der Jäger sagt, verlassen also so leise wie möglich den Hochsitz, hören aber beim Rückweg noch immer das Grunzen der Wildschweine. Sie stehen höchstens fünfzig Meter misstrauisch wartend von uns entfernt. Ein Schauer, der mir über den Rücken jagt. Immerhin, wir sind die Eindringlinge in ihrem Gebiet. Oder Zaungäste?
Drei Stunden waren wir nicht in und nicht von dieser Welt, in einer unwirklichen Szenerie, die meine Seele erfrischte. Der Hirsch ruft noch einmal wie zum Abschied. Dann sind nur noch unsere Schritte auf dem Waldboden zu hören.

ENDE

Text und Fotos © Hildruth Sommer